Director – Caitlin van der Maas
Set – Michele Lorenzini
Costume – Louise Flanagan
Music – Florian Kreier and Marcus Graßl from Aloa Input
Film/Video – Sylva Häutle
Choreography/Stunts – Jasmine Ellis and Christina d’Alberto
Acting – Angelika Krautzberger
Premiere – 23rd April 2018
A review by Jutta Czeguhn from the Süddeutsche Zeitung of the performance project ‘Romeo & Julia for F*king Ever and Ever’. A cooperation between the Ludwig-Thoma-Realschule Munich, the Münchner Kammerspiele and TUSCH (Theater und Schule München).
Liebe in der Endlosschleife
Die gesamte neunte Jahrgangsstufe der Ludwig-Thoma-Realschule in Berg am Laim bringt Shakespeares “Romeo und Julia” auf die Bühne. Unterstützt von Profis der Münchner Kammerspiele zeigen 120 Schüler, wie sie diese größte aller Liebesgeschichten sehen.
Julia setzt die Pistole an die Schläfe, die Hand zittert, zögert, den Abzug zu drücken. Dann macht es Klick, der Körper fällt vornüber. “Und Cut, noch mal, Gestik, Mimik, gar nichts war da!”, sagt eine genervte Regie-Stimme. Julia seufzt und greift also erneut zur Waffe, solange bis die Szene zur Zufriedenheit der Filmcrew im Kasten ist. Noch ein paar Mal heißt es “Kamera läuft, Ton läuft. Und Action!” Denn auch Romeo soll einen hollywoodreifen Abgang hinlegen. Konzentriert, wenn auch mit Überwindung, kippt er sich die Ampulle Gift in die Kehle und findet zuckend sein Ende. Alternativ darf er sich auch ein Messer in den Bauch rammen, ächzend geht er in die Knie. “Cut!”
Hingebungsvoll wird hier gestorben. Die jungen Schauspieler haben deutlich Spaß an der Sache, einem Spiel im Spiel. Und auch Caitlin van der Maas muss immer wieder kichern während dieser Probe im “Godzilla”-Raum, wie ein Klassenzimmer im ersten Stock der Ludwig-Thoma-Realschule umgetauft wurde. Zwei intensive Wochen liegen hinter der Regisseurin, die von 2012 bis 2015 Regieassistentin bei Johan Simons an den Kammerspielen war. Unterstützt von Tusch München und einem Kollektiv aus Profi-Musikern, Tänzern, Choreografen und Kostümbildnern hat die Niederländerin mit den jugendlichen Schülern der Schule in Berg am Laim den klassischen Tragödienstoff Shakespeares aus vielen Richtungen angesteuert, umkreist und dann neu interpretiert. Herausgekommen ist in dieser kurzen Zeit ein theatrales Experiment, dessen Titel “Romeo & Julia for F*King ever and ever!” schon einiges andeutet. An diesem Montag hat die Collage schulintern Premiere. Am Dienstag, 24. April, sind auch Gäste willkommen, die sich diese ungewöhnliche Auseinandersetzung mit dem Drama ansehen wollen.
Der Weg an die Fehwiesenstraße 118 lohnt. 15-Jährige spielen, tanzen und rappen dort, treten in Kontakt mit der Denke, Gefühlswelt und Sprache der beiden elisabethanischen Protagonisten, die laut Originaltext wohl sogar noch jünger waren als sie selbst. Romeo und Julia ist die dritte Arbeit von Caitlin van der Maas an der Schule des theaterbegeisterten Rektors Claus Tonke. 2016inszenierte sie, ebenfalls mit Neuntklässlern, das Stück mit dem schroffen Titel “Was hattest Du denn erwartet – Sieht ganz gut aus, ist aber trotzdem Scheiße”. Im vergangenen Jahr widmeten sich die Schüler unter ihrer Anleitung – frei nach Friedrich Dürrenmatt – dem “Besuch der jungen Dame”. Nun also Shakespeare und die größte aller Liebesgeschichten der Dramenliteratur.
“Ich habe mich gefragt, warum Romeo und Julia ein so ikonisches Symbol für romantische Liebe sind”, sagt van der Maas zur Stückauswahl. “Die beiden töten erst zwei andere und dann sich selbst. Ist das echte Liebe oder Leidenschaft, die blind macht? Und wie romantisch bleibt die Liebe, wenn sich das Drama immer wieder und wieder wiederholt?” Fragen, hat sie in den vergangenen zwei Wochen erfahren, die auch die Jugendlichen an das Stück stellen. Wer Antworten sucht, muss sich ausprobieren, experimentieren können. Dazu war in sieben Workshops Gelegenheit, in denen van der Maas und ihr Team den 120Schülern aufzeigten, was alles zum Theater gehört: Musik, Kostüme, Tanz, Bühne und, unerlässlich heute, die Video-Produktion.
Videos sind auch das verbindende Glied in diesen Shakespeare-Variationen, die sich in fünf Räumen zeitgleich ereignen. Ob im “Godzilla-Raum”, im “Italien-Raum”, im “Golden-Room” – überall trifft man dort per Beamer an die Wand geworfen etwa auf Walter Hess, Ensemble-Mitglied der Kammerspiele, der zusammen mit einem Dutzend Kollegen das Projekt unterstützt. Die Brille auf der Nase, spricht Hess mit seiner großen Theaterstimme den Schlussmonolog des Fürsten von Verona in die Kamera: “Ihr aber, getreue Liebende, die ein allzu strenges Schicksal im Leben getrennt und nun ein freiwilliger Tod auf ewig vereinigt hat, lebet, Juliette und Romeo …!” Caitlin van der Maas war es wichtig, dass die Jugendlichen die Sprache Shakespeares in ihrer ganzen Intensität und Poesie möglichst im Original erleben. Dazu wählte sie, in leicht gekürzter Fassung, die alte Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, dessen Nachdichtung die jungen Romeos und Julias nun entweder selbst sprechen, lippensynchron ausdrücken oder in ihren ganz eigenen Rhythmus wandeln.
Das Publikum erlebt “Romeo & Julia” als vibrierende Wanderbühne. Nur die Hauptprotagonisten bleiben jeweils in ihren Räumen. Nebenfiguren, Tänzer und Chor ziehen indes weiter mit Gangsta-Rap, Musik, Stunts und großartigen Choreografien, in denen die Heißsporne der Montagues und Capulets mit aller Wucht aufeinander losgehen, aber auch leisen, anrührenden Monologen und lässigen Sequenzen. Die Schüler lassen am Ende auch wissen, wie es weiter gegangen sein könnte, hätten Romeo und Julia ihre dramatische Liebes- und Familiengeschichte überlebt.